
Ein Study-Visit in die Grenzregion Deutschland-Dänemark

Eine Studienreise in das Deutsch-Dänische Grenzland bot neun serbischen Beamten letztes Jahrdie Möglichkeit, Einblicke in die Minderheitenschutzpraktiken der Region zu gewinnen, und inspirierte beide Seiten. Auf der Agenda für den Besuch standen u.a. ein Treffen mit dem Minderheitenbeauftragten und seinem Team in der Staatskanzlei und anschließender Diskussion mit dem Europa-Ausschuss, ein Besuch bei der dänischen und deutschen Minderheit, dem dänischen Generalkonsulat in Flensburg und einer Tour durch das deutsche Museum in Sønderborg (DK) sowie ein Treffen mit dem Landesverband deutscher Sinti und Roma. Besonders das geltende Prinzip der Gesinnungsangehörigkeit sorgte bei den Teilnehmern während des Aufenthalts für Verblüffung. Wir haben Jelena Mihajlov, die lokale Projektmanagerin für das Projekt „Schutz von Minderheiten für den EU-Beitritt“ über den Study Visit interviewt.
Interview mit Jelena Mihajlov, ECMI-Consultant:
Jelena Mihajlov ist die lokale Projektmanagerin für das Projekt „Schutz von Minderheiten für den EU-Beitritt“, welches in Serbien umgesetzt wird. Jelena erwarb ihren Bachelor-Abschluss in Kunstgeschichte an der Philosophischen Fakultät der Universität Belgrad und einen Master-Abschluss in Kulturtheorie an der Fakultät für Politikwissenschaften in Belgrad. Derzeit arbeitet sie an ihrer Doktorarbeit, welche die Umsetzung von Minderheitenpolitik durch die Praktiken kultureller Institutionen in Serbien untersucht, speziell in der multikulturellen Region Vojvodina.
Könntest du uns etwas zu dem Studienbesuch erzählen?
Jelena Mihajlov (J.M): Das Hauptziel des Studienbesuchs war es, einen Austausch bewährter Verfahren im Bereich des Minderheitenschutzes zwischen Beamten und Behördenvertretern aus Serbien und ihren Kollegen aus Deutschland und Dänemark zu ermöglichen sowie die organisatorischen Kapazitäten der Teilnehmer im Bereich des Minderheitenschutzes in Serbien weiterzuentwickeln. Der Studienbesuch ermöglichte den Teilnehmern, sich mit Beispielen guter Praxis im Minderheitenschutz und der Funktionsweise von Minderheiteninstitutionen in der deutsch-dänischen Grenzregion vertraut zu machen, die für ihre fortschrittliche Minderheitenpolitik und die Vielzahl an Akteuren im Bereich des Minderheitenschutzes bekannt ist. Dabei war jedoch nicht die Absicht, das deutsch-dänische Minderheitenmodell in Serbien eins zu eins zu übernehmen, da dies aufgrund der unterschiedlichen Kontexte unmöglich wäre, die jeden Minderheitenschutz maßgeblich beeinflussen und gestalten. Ziel war es vielmehr, dass einige Aspekte dieses erfolgreichen Modells und positive Erfahrungen aus dem deutsch-dänischen Modell in den westlichen Balkan übertragbar sein könnten, wie etwa der Umgang mit vergangenen Konflikten, institutionalisierte Konsultations- und Dialogmechanismen oder Instrumente zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. In Anbetracht der unterschiedlichen Kontexte dieser Länder sowie der Struktur und Positionen der Teilnehmer aus Serbien wurde das Programm des Studienbesuchs gemeinsam von den Teams in Serbien und Deutschland entwickelt. Basierend auf den bisherigen Erfahrungen des ECMI-Teams in der Organisation solcher Besuche wurde das Programm so gestaltet, dass es den serbischen Vertretern den größtmöglichen Nutzen bringt. Es umfasste sowohl staatliche als auch Minderheiteninstitutionen und -organisationen in Schleswig-Holstein und Dänemark.
Woher kamen die Teilnehmer und was sind ihre Positionen in Serbien?
(J.M): Die Teilnehmer waren Vertreter von Ministerien und der Provinzverwaltung Vojvodina in Serbien. Einige Teilnehmer kamen aus dem Ministerium für Menschenund Minderheitenrechte und sozialen Dialog, welches das ECMI im Rahmen des Minderheitenschutzprojektes für den EUBeitritt (MPA) direkt in Serbien unterstützt. Weitere Teilnehmer stammten aus verschiedenen Fachministerien: dem Ministerium für Kultur, dem Ministerium für öffentliche Verwaltung und lokale Selbstverwaltung, dem Bildungsministerium sowie dem Ministerium für Information und Telekommunikation. Außerdem war ein Vertreter des Provinzsekretariats für Bildung, Vorschriften, Verwaltung und nationale Minderheiten – nationale Gemeinschaften aus der Provinz Vojvodina – dabei, der Region Serbiens mit dem höchsten Minderheitenanteil und einem komplexen Gesetzes- und Politikinstrumentarium auf Provinzebene. Die Teilnehmerstruktur umfasste, neben dem Kabinettschef und dem amtierenden stellvertretenden Minister für Menschenund Minderheitenrechte und sozialen Dialog, hauptsächlich Abteilungsleiter und Berater aus verschiedenen Ministerien, die sich mit Themen wie der Überwachung des Status von nationalen Minderheiten, der Verwaltung des Registers und der Wahlen nationaler Minderheitenräte, kulturellen Initiativen für benachteiligte Gruppen, Arbeitsverhältnissen in der öffentlichen Verwaltung, Minderheitenrechten in der Bildung, der Überwachung der Gesetzesumsetzung im Bereich der öffentlichen Information sowie dem offiziellen Gebrauch von Sprache und Schrift befassen. Abgesehen vom Ministerium für Menschen- und Minderheitenrechte war ein Hauptkriterium für die Auswahl der Teilnehmer, dass sie aus Ministerien stammen, die sich in ihren Zuständigkeitsbereichen mit dem Minderheitenschutz in verschiedenen Sektoren befassen. Zudem wurden sie aufgrund ihrer engen Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Menschen- und Minderheitenrechte in Bezug auf Berichte zu Minderheitenfragen in verschiedenen Bereichen ausgewählt, da ein bedeutender Teil des Projektes der Entwicklung eines Berichtssystems im Rahmen des neuen Aktionsplans zur Verwirklichung der Rechte nationaler Minderheiten in Serbien gewidmet ist, der verabschiedet werden soll.
Was fanden die Teilnehmer am interessantesten, basierend auf ihren Kommentaren und Reaktionen?
(J.M): Dies variierte je nach beruflichem Interesse der Teilnehmer, aber generell fanden sie es interessant, direkt von Personen innerhalb der Institutionen zu hören, wie die Unterschiede in den Ansätzen zum Schutz der Rechte nationaler Minderheiten in Deutschland und Dänemark aussehen und umgesetzt werden. Besonders beeindruckend fanden die Teilnehmer die Institutionen in Kiel – den Besuch des Landtags von Schleswig-Holstein und das Treffen mit Verantwortlichen für Minderheitenangelegenheiten, das einen direkten Austausch auf Augenhöhe ermöglichte. Dabei hatten die serbischen Teilnehmer sowohl die Gelegenheit, ihren eigenen Kontext darzustellen, als auch spezifische Themen und Fragen zu erörtern. Auch das spezifische Verständnis von Identität in dieser Region – die Akzeptanz multipler Identitäten sowie von staatlicher und bürgerlicher Identität – weckte bei einigen Teilnehmern großes Interesse. Manche fanden zudem das Konzept des Minderheiten Kompetenz Netzwerks (MKN) besonders spannend und dachten über die Möglichkeit nach, eine ähnliche Initiative in ihrer eigenen Region zu etablieren. Eine Überraschung für die Teilnehmer war, dass die Regulierung in diesem Bereich in Serbien weitaus umfangreicher und komplexer ist als in Deutschland und Dänemark, was die Umsetzung jedoch erschwert. Gleichzeitig wurde ihnen jedoch bewusst, dass die in Serbien für diesen Bereich zur Verfügung stehenden Mittel deutlich geringer sind, was aber dennoch zu bemerkenswerten Erfolgen geführt hat.
Gab es etwas, das dich in Bezug auf die Gruppe überrascht hat?
(J.M): Obwohl ich persönlich das Deutsche Museum Nordschleswig (Sønderburg, Dänemark) aufgrund seiner Relevanz für meine eigene Forschung sehr faszinierend finde, hatte ich nicht erwartet, dass es bei den Teilnehmern einen solch starken Eindruck hinterlassen und viele Kommentare hervorrufen würde – das hat mich definitiv überrascht. Sie fanden es zwar sehr lehrreich und interessant, doch waren die Reaktionen auch aufgrund der Sensibilität des Themas stark, insbesondere in Bezug auf die Darstellung des Zweiten Weltkriegs. Es unterscheidet sich von ähnlichen Institutionen, da es nicht auf einer scharfen „Schwarz-Weiß-Darstellung“ von Opfern und Tätern basiert, sondern vielmehr die Komplexität der Perspektiven und persönlichen Erfahrungen betont.
Was war deiner Meinung nach am hilfreichsten für die Teilnehmer?
(J.M): Es gab mehrere Aspekte, die ich als hilfreich erachtet habe. Angesichts der jüngeren Konfliktgeschichte in den westlichen Balkanstaaten halte ich es für sehr wertvoll, dass die Teilnehmer mehr darüber erfahren konnten, wie die Konflikte und Probleme, die das Verhältnis zwischen Dänemark und Deutschland in der Vergangenheit belastet haben, überwunden wurden. Auch wenn die Kontexte nicht identisch sind, glaube ich, dass es wichtig war, dass die Teilnehmer mehr über das andauernde Engagement zur Stabilisierung der Beziehungen im Kontext der Minderheitenrechte erfuhren, was besonders relevant ist im Hinblick auf die Beziehungen der westlichen Balkanländer untereinander, da Grenzänderungen zur Entstehung „neuer“ Minderheiten in der Region führten. Darüber hinaus war es von großem Nutzen, dass der Studienbesuch den Teilnehmern die Möglichkeit bot, ihren eigenen Kontext und das System, in dem sie täglich arbeiten, zu verlassen und kritisch zu hinterfragen. Dies gab ihnen die Gelegenheit, Bereiche zur Verbesserung oder Neujustierung im Minderheitenschutzmodell Serbiens zu erkennen und die Möglichkeit zu prüfen, wie sie ihre alltägliche Arbeit und Tätigkeiten verbessern können. Neben der Vernetzung und dem Austausch von Informationen und Erfahrungen mit ihren Kollegen aus Deutschland und Dänemark hatten die Teilnehmer auch die Gelegenheit, sich untereinander zu vernetzen. Einige von ihnen hatten zuvor nicht zusammengearbeitet und konnten so gemeinsame Aktivitäten zur Intensivierung der Zusammenarbeit planen, basierend auf Einblicken in konkrete Unterstützungsmodelle für den Minderheitenschutz in Deutschland und Dänemark, von denen einige für den spezifischen Kontext Serbiens angepasst werden können.
Könntest du uns etwas über deine Forschungsinteressen erzählen?
(J.M): Mein derzeitiges Forschungsinteresse liegt darin, wie Museen vergangene Konflikte durch ihre Ausstellungen thematisieren und wie diese konfliktreichen Geschichten in den musealen Erzählungen interpretiert werden. Dabei untersuche ich, wie ehemalige gegeneinanderstehende Gruppen sich bezüglich ihrer gemeinsamen Geschichte aufstellen und sich in Bezug auf Kultur und zum kulturellen Erbe positionieren, insbesondere im Zusammenhang mit den „neuen“ Minderheiten und dem Aufbau von Minderheitenidentitäten.