Forschung und Aktion bezüglich des Minderheitenschutzes in Serbien

2025-01-10
Serbien steht kurz vor einem wichtigen Meilenstein: Dem EU-Beitritt. Minderheitenschutz spielt dabei eine wichtige Rolle. Ljubica Djordjević im Gespräch mit Aleksandra Raskovic (Ministerium für Menschen- und Minderheitenrechte und sozialen Dialog). ©ECMI

Seit letztem Jahr beschäftigt sich ein ExpertInnen-Team des ECMI intensiv mit einem Projekt in Serbien, welches von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) gefördert wird. Hintergrund des Projektes ist Serbiens Antrag auf EU-Beitritt und der damit verbundene stärkere Fokus auf Minderheitenschutz.  

Wir haben die Forschungsbereichsleiterin Dr. Ljubica Djordjević interviewt.

Wie ist es zu dem GIZ-Projekt gekommen?

Dr. Ljubica Djordjević (L.D.): Die Vorbereitungen für das Projekt haben mehr als ein Jahr gedauert. Zunächst hat die GIZ das ECMI über Frau Linda Pieper (die in unserem Vorstand sitzt) eingeladen, an einem größeren Konsortium teilzunehmen. Unser Projekt ist Teil einer umfassenden Initiative mit zwei Schwerpunkten: 1. Die Bekämpfung von Korruption und 2. Die Sicherung der Grundrechte, in etwa elf konkreten Bereichen. Aufgrund seiner Expertise hat die GIZ das ECMI eingeladen, die Hauptverantwortung im Bereich des Minderheitenschutzes zu übernehmen. Das Projekt wird hauptsächlich durch EU-Mittel finanziert und soll Serbien bei der Erfüllung von Beitrittskriterien und Vorgaben (sogenannten Benchmarks) unterstützen. Unsere Rolle besteht darin, das serbische Ministerium für Menschen- und Minderheitenrechte und den sozialen Dialog dabei zu unterstützen, die minderheitenbezogenen Vorgaben zu erfüllen. Wir haben mehrere Monate mit unseren Partnern in Serbien die Themen und Aktivitäten identifiziert und ausgesucht. Im Endeffekt haben wir vier Bereiche identifiziert: die Berichterstattung über den Aktionsplan, den Kapazitätsaufbau für nationale Minderheitenräte, den Kapazitätsaufbau für die Räte für interethnische Beziehungen und die Sensibilisierung von Beamten für Minderheitenrechte. Seit 2023 beschäftigen wir uns mit diesen Themen.

Wo siehst du die größten Herausforderungen für Serbien?

(L.D.): Eine der größten Herausforderungen liegt im geopolitischen Bereich und im Engagement zur EU-Integration. Trotz der protokollarischen Hingabe zur EU-Integration ist Serbien geopolitisch unentschieden und pflegt gewisse außenpolitische Beziehungen, die nicht ganz im Einklang mit der EU-Integration stehen. Zudem sind die mit der EU-Integration verbundenen Reformen langsam oder nur oberflächlich. Vielmehr spürt man bei der Bevölkerung eine gewisse Enttäuschung und Resignation gegenüber dem gesamten Prozess, und es fehlt an einem positiven Aufschwung an Dynamik. Wenn es um Minderheitenfragen geht, sind diese politisch nicht priorisiert, und die generelle Einstellung ist, dass Serbien einen guten Rahmen für den Minderheitenschutz hat und kein besonderes Engagement benötigt, weshalb viele Initiativen in diesem Bereich im „Autopilot-Modus“ laufen. Leider fehlt eine klare Minderheitenstrategie. Die Zahl der Minderheitsbevölkerung ist außerdem gesunken, bei manchen Gruppen sogar erheblich, was sich negativ auf das Humankapital auswirkt und deren Kapazität beeinträchtigt. Die personellen Kapazitäten im Minderheitenbereich sind in der Verwaltung und im Staatsapparat generell eher gering, und die Zahl der Beamten, die sich mit Minderheitenfragen beschäftigen, ist niedrig. Dies führt bei der Behandlung von komplexen Fragen oft zu einer ad-hoc-Vorgehensweise.

Wie realistisch schätzt du den EU-Beitritt ein?

(L.D.): Ich habe 2007 über das über Serbiens Integration in die EU promoviert. Ich erinnere mich immer noch an meine letzte Folie bei der Verteidigung, auf die ich 2013 und 2015 mit einem Fragezeichen als mögliche Beitrittsjahre für Serbien markiert habe. Ich denke, das unterstreicht meine Gefühle ganz gut in Bezug auf die Tatsache, dass wir uns 2024 die gleiche Frage stellen und immer noch die gleiche ungewisse Antwort haben. Was ist der nächste Meilenstein eures Projektes? (L.D.): Zurzeit beschäftigen wir uns mit einer Reihe von Trainings für die Beschäftigten in der lokalen Selbstverwaltung, Mitglieder von Räten für interethnische Beziehungen und für Vertreter von nationalen Minderheitenräten zur Stärkung der lokalen Räte für interethnische Beziehungen. Im Dezember werden wir auch eine kleine Konferenz, über die interethnischen Beziehungen auf der lokalen Ebene, in Serbien organisieren. Es wird oft geschätzt, dass der Multikulturalismus in Serbien eher getrennt ist und dass die Gruppen nebeneinander und nicht miteinander leben. Wir wollen den Dialog über dieses Thema eröffnen und versuchen, die Praxis eines regulären Dialogs zwischen den Akteuren zu etablieren. Dabei finden wir Beispiele aus Deutschland und Schleswig-Holstein sehr inspirierend und wollen versuchen, diese Neigung zum konstruktiven Dialog auch in Serbien zu verankern.

Gab es etwas, das dich im Zuge der Projektrealisierung überrascht hat?

(L.D.): Ich beschäftige mich mit dem Thema schon eine ganze Weile, von daher gab es so gut wie keine Überraschungen. Ich komme ursprünglich aus Serbien und teile eine gewisse Frustration darüber, dass sich die Prozesse langsam entwickeln. Jedoch stärken die Menschen, die ich im Rahmen des Projektes getroffen habe, meinen Glauben an die Möglichkeit von Verbesserung, vorausgesetzt, dass wir eine viel klarere Strategie und eine stärkere Hingabe zum Minderheitenschutz in Serbien erreichen.

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