Das historische Herzogtum Schleswig - Handschriften von 1789 bis 1914 gesucht

Das EUF-Forschungsprojekt „Visibilizing Normative Regional Historical Multilingualism: Ideology, Policy and Practice“ sucht Handschriften von 1789 bis 1914.
Welche Sprachen wurden zwischen 1789 und 1914 von wem in welchen Situationen in der mehrsprachigen deutsch-dänischen Grenzregion verwendet? Diese Frage untersucht die historische Soziolinguistin Dr. Samantha M. Litty von der Europa Universität Flensburg in dem Projekt „Visibilizing Normative Regional Historical Multilingualism (ViNoRHM): Ideology, Policy and Practice“. Es wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit knapp 360.000 Euro für drei Jahre gefördert. Litty konzentriert sich dabei auf ein Gebiet, das sich durch eine lange Geschichte von Mehrsprachigkeit auszeichnet: Das historische Herzogtum Schleswig. Es umfasst im Wesentlichen das heutige Nordschleswig im südlichen Dänemark und das heutige Südschleswig im nördlichen Schleswig-Holstein. Die Region gehörte zunächst zum dänischen Gesamtstaat, geriet dann zwischen die nationalen Fronten, wurde in den Schleswigschen Kriegen zum Schauplatz nationalistischer Auseinandersetzungen und durch die Grenzziehung 1920 in ‚deutsch‘ oder ‚dänisch‘ geteilt. „Wer sprach oder schrieb wann Friesisch, Niederdeutsch, Sønderjysk, Dänisch oder Deutsch? Welche Sprachen wurden darüber hinaus geschrieben und gesprochen? Historisch gesehen sind mehrsprachige Umgebungen oft durch eine versteckte Komplexität gekennzeichnet, die darauf zurückzuführen ist, dass nicht alle Sprachvarietäten sichtbar sind. Denn im täglichen Leben wurden mehrere Sprachen verwendet, aber nicht alle wurden geschrieben“, erklärt Litty. „Und schon gar nicht alle wurden aufbewahrt.“
Litty will die bisher unsichtbar gemachten Sprachen und Einzelpersonen nun sichtbar machen. „Im Mittelpunkt des Projekts stehen dabei die Menschen, die in der Geschichte bisher unbeachtet geblieben sind: Bspw. Frauen und weniger oder ungebildete Menschen. So entsteht eine innovative Darstellung der Sprachengeschichte der deutsch-dänischen Grenzregion im 19. Jahrhundert.“ Dieses Vorhaben ist gänzlich neu. „Eine Geschichtsschreibung, die sich in erster Linie auf den Sprachgebrauch (die Sprachpraxis) der Bevölkerung stützt und damit auch die Machtdynamiken in einer mehrsprachigen Region untersucht, gibt es bisher noch nicht“, betont Litty. Methodisch geht sie das Vorhaben mit Fallstudien auf Mikroebene zu Sprachideologie, -politik und -praxis, mit Primärtexten aus offiziellen Aufzeichnungen und mit sogenannten „Ego-Dokumenten“ an. Letztere sind Texte, die in privaten oder persönlichen Situationen verfasst wurden, oft private Briefe, Tagebücher, Familienbücher oder -geschichten usw. „In Archiven finden sich diese Texte oft nicht, dort werden hauptsächlich Dokumente von ‚wichtigen‘, d.h. gebildeten und meist männlichen Menschen aufbewahrt. Die Mehrheit der Menschen war jedoch im Vergleich eher ungebildet und im Schreiben ungeübt.
Deshalb sucht Dr. Samantha M. Litty handgeschriebene Texte, wie Briefe, Tagebücher, Poesiealben, Dienstbücher, Familiengeschichten oder ähnliches, auch in altdeutscher Schrift (Kurrentschrift), von 1789 bis 1914. „Ich möchte mehr über die Gesellschaft in der historisch mehrsprachigen Grenzregion lernen, und wer ist besser geeignet, ein Licht darauf zu werfen als die Mitglieder dieser Gesellschaft selbst?“, fragt sie. „Vielleicht hat z.B. die Mutter irgendwo Familienbriefe aufbewahrt, oder der Opa hat ein Schuhkarton voller alter Dokumente von seiner Großeltern. Diese Sorte Text würde ich mir gerne anschauen.“ Die Texte werden gescannt oder fotografiert, da die Originaltexte in den Familien bleiben sollen, es sei denn, die Familien möchten die Dokumente gerne in Archive abgeben. Persönliche Daten werden vertraulich behandelt. Die Weitergabe von Transliterationen (d.h. abgetippten Versionen) aller Dokumente ist möglich.